„Hättest Du das gedacht?“, fragt Lena.
Nein, hätte ich nicht. Obwohl ich schon einmal hier war, wenn auch nur kurz und sehr fokussiert auf diesem einen Berg, oder Ben, wie sie das hier nennen. Gedacht hätten wir so einiges nicht, was uns schließlich in den Highlands erwartete: Die Kontraste, die Farben, die Mücken… aber vor allem, die atemberaubende Schönheit dieser Landschaft!
Es war einer dieser Trips, wie wir sie jeden Monat versuchen, in meinen Dienstplan einzustreuen: ein freier Tag irgendwo im europäischen Streckennetz meines Arbeitgebers, meist mit später Ankunft am ersten Tag und früher Abreise am dritten Tag. Und dazwischen: 24 Stunden intensive Reiseerfahrung, diesmal eben in Glasgow, Schottland. Anfang 2024 war ich hier schon einmal für einen Tag unterwegs, damals komplett ahnungslos, was mich erwarten könnte. Es zog mich schließlich auf den Ben Lomond, mit 974 Metern der südlichste Munro. So nennen die Schotten ihre Berge mit mehr als 3000 Fuß. Der Ben Lomond hat es so gerade über diese Marke geschafft, war von Glasgow aus schnell zu erreichen und den Aufstieg absolut wert.



Für die Revival-Tour 2025, diesmal mit Lena als Begleitung, stand etwas anderes auf dem Programm. Wieder sollte es mit dem Mietwagen rausgehen aus der Stadt, in die Weite der schottischen Landschaft. Allerdings nicht mit dem Ziel einer Wanderung oder Munro-Besteigung, sondern es sollte ein ganz klassischer Roadtrip werden. Mit ein wenig Recherche und ein paar guten Tipps war die Route schnell gefunden: Von Glasgow aus ging es zunächst wieder nördlich Richtung Loch Lomond. Dort dann entlang des westlichen Ufers weiter nordwärts Richtung Tyndrum und weiter nach Glencoe. Von dort zur Küste und in einem südlichen Bogen wieder zurück Richtung Tyndrum und schließlich heimwärts. Für die gesamte Route von 350km veranschlagt Google Maps 5,5 Stunden. Hierbei sollte man allerdings beachten, dass es viele Dinge gibt, die einen aufhalten können: von engen, kurvigen Straßen bis hin zur Landschaft, die einen dazu verleitet, zahlreiche Stopps einzulegen. Am Ende waren wir für diese Runde knapp 12 Stunden unterwegs, inkl. aller Pausen.
Unser erster Stopp war das kleine Örtchen Luss am Ufer des Loch Lomond. Dieses beschauliche Dorf besticht mit seiner malerischen Lage und seinen typischen Steinhäusern, die sich in ordentlichen Reihen am Seeufer finden. Von hier starten zudem zahlreiche Bootstouren über den See, allerdings ist damit dieser Ort auch so etwas wie das touristische Zentrum des Westufers. Die Scharen an Ausflüglern, die sich aus den Reisebussen ergießen, haben uns dann doch schnell dazu verleitet, wieder ins Auto zu steigen und weiterzufahren.




Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellen sollte, denn es warteten noch so viele Highlights auf uns. Wir fingen an mit den Falls of Falloch, einem Highlight, über das man nur stolpert, wenn man sich rechtzeitig vorher informiert hat oder zufällig das kleine Schild am Straßenrand erblickt. Dann geht es direkt neben der Landstraße auf einen viel zu kleinen Parkplatz und wenn man dort erfolgreich einen Stellplatz ergattert hat, führt einen ein schmaler Wanderweg maximal 5 Minuten durch den Wald, bis sich eine Lichtung öffnet. Hier blickt man direkt über einen kleinen, tiefblauen See auf den beeindruckenden Wasserfall, der sich auf der gegenüberliegenden Seite eine kleine Anhöhe herunterstürzt. Sehr malerisch, gut für einige Fotos und um die Staun-Muskeln aufzuwärmen und dann geht’s auch schon weiter.

Folgt man der A82 immer weiter nordwärts, verändert sich die Landschaft stetig und schnellen Schrittes. Ragen bereits am Loch Lomond die ersten Berge vom Ufer Richtung Himmel, so scheinen sich mit jedem Kilometer, den man zurücklegt, die Wände rechts und links der Straße steiler und höher zu erheben. Wenn man dann auch noch wie wir einen typischen schottischen Sommertag erwischt, 20°C, bewölkt und leichter Nieselregen, verschwinden die Gipfel schnell in einem mystischen Grau und lassen sich nur schwer erahnen. Es gibt wohl kaum eine Gegend in der Welt, der schlechtes Wetter so gut tut! Nach 1,5 Stunden Fahrt von Glasgow hat man vollends das Gefühl, die Zivilisation hinter sich gelassen zu haben. Die Landschaft wird immer leerer und außer der Straße und den sich darauf entlangschlängenden Autos weist nichts auf die Anwesenheit von Menschen hin. Wobei das nicht ganz stimmt, denn nach einiger Zeit fielen uns vor allem zwei Dinge in der Landschaft auf: zahlreiche kleine Grüppchen Wanderer, die sich auf einem der vielen mehrtägigen Treks Schottlands durch die Wildnis schlugen; und Zelte, idyllisch aufgeschlagen am Ufer kleiner Bäche oder auch komplett isoliert in der rauen Wildnis der Highlands. Eine kurze Recherche ergibt: In Schottland regelt der Land Reform Scotland Act von 2003, dass das Wandern und Wildcampen mit Zelt in den meisten Landesteilen erlaubt ist. Einschränkungen gibt es nur für private Gelände, Nationalparks und auch für Wohnmobile. Diese besondere Art, die Highlands zu erkunden, bleibt also den Zeltern überlassen. Definitiv einmal eine Überlegung wert! (LINK)
Unser nächstes Highlight entlang unserer Route war das Tal Glen Etive. Hierzu verlässt man die A82 und biegt in eine einspurige kleine Landstraße ein, die sich nach wenigen hundert Metern in einem idyllischen Tal verschwindet. Ein kleiner Bach schlängelt sich hier entlang einiger Stromschnellen und Wasserfälle und nach einigen Kilometern kommt man an eine Stelle, die es im Jahr 2012 als Kulisse für den James Bond Film „Skyfall“ auf die Leinwände der Welt schaffte. Und man kann verstehen, warum Großbritanniens berühmtester Geheimagent hier anhielt und den Blick in die Weite schweifen ließ. Die Magie dieses Ortes ist einzigartig und lässt sich schwerlich mit Worten und Bildern wiedergeben.




Doch dass Schottland mehr ist als nur der eine See oder das eine Tal, das ist uns auf unserer bisherigen Route schon schnell bewusst geworden. Und so steht mit Glen Coe direkt das nächste Tal auf dem Programm, das einen direkt in seinen Bann zieht. Auch hier finden sich steil aufragende, grüne Bergwände, weiße Cottages und grün-blaue Seen, die zusammen eine Szenerie bieten, die so gar nicht an andere, „klassische“ Berglandschaften erinnert. Wir folgen nun der A82 immer weiter Richtung Küste und werden schließlich im kleinen Ort Creagan fündig auf unserer Suche nach einem Mittagessen. Direkt am Ufer einer Bucht liegt hier das „The Creagan Inn“ (LINK), mit einer herrlichen Außenterrasse, frisch gezapftem Ale und sogar, ganz besonders, vegetarischen Fish & Chips, mit frittiertem Halloumi: genau das haben wir jetzt gebraucht. Die Pause hier tut gut und wir fühlen uns von der freundlichen Bedienung herzlich willkommen. Und wir träumen davon, auf dem benachbarten Campingplatz mit unserem Lutz zu stehen, bis uns die Realität einholt: Es sind noch 2,5 Stunden bis Glasgow und am nächsten Tag geht der Wecker in aller Frühe.








Schweren Herzens reißen wir uns los und machen uns auf den weiteren Weg, vorbei an einer wunderschönen kleinen Kirche, die bei weitem nicht so mittelalterlich ist, wie sie aussieht, hin zur letzten Burg des Tages: Das Kilchurn Castle (LINK) liegt auf einer kleinen Halbinsel im Loch Awe und kann vom Parkplatz aus in ca. 10 Minuten zu Fuß erreicht werden. Bei Überqueren der Wiesen vor der Burgruine kann man mit etwas Glück einen näheren Blick auf schottische Hochlandrinder werfen. Das Castle selbst ist eine Burgruine aus dem Bilderbuch, mit eingefallenen Türmen, einer gut erhaltenen Grundstruktur und einer Menge Raben, die sich im Gemäuer tummeln. Besichtigt werden kann die Anlage leider nur von außen, d.h. nach einer Runde um die Burg ging es schon wieder zurück zum Auto.




Die weitere Fahrt und damit auch die Rückfahrt zum Hotel in Glasgow nutzten wir, um über das Erlebte und Gesehene nachzudenken und zu reden. Es ist die Kombination von vielen Dingen, die die Magie der Highlands ausmachen: die Weite, die Rauheit, die Farben und das alles wird garniert von ganz viel Mystik. Man fühlt sich umgeben von alten Legenden und Sagen, spürt die Bedeutung dieses Landes für die Menschen über Jahrtausende und dennoch ist alles so gewaltig, dass man weiß: für diese Berge ist die Menschheit nur ein Wimpernschlag. Umgeben von Bergen, die 500 Millionen Jahre alt sind, finden sich Wikinger-Spuren aus dem 8. Jahrhundert, Burgen aus dem 13. Jahrhundert und Kirchen aus dem 20. Jahrhundert. Und schnell wird uns klar: dieser Tag ist ein Anfang und bei weitem nicht das Ende unserer Lust darauf, diese Gegend der Welt zu erkunden. Und nein, das hätte ich wirklich nicht gedacht!
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